Bharathi Avireddy tanzt die Geschichten indischer Götter

Porträt im TanzkostümBharathi Avireddy, geboren in Visakhapatnam, Südostindien, habe ich vor ein paar Jahren bei einem Tanzabend im Tattersaal kennengelernt. Damals stand sie mit einem Gast aus Indien und einer Gruppe ihrer Schülerinnen auf der Bühne. Einzeln und als Gruppe zeigten sie klassische, indische Tänze. Den zweitausend Jahre alten Bharata Natyam und den sechshundert Jahre alten Kuchipudi.

Mittlerweile habe ich Bharathi über gemeinsame Bekannte mehrfach wiedergetroffen. Die Leiterin der indischen Tanzakademie feiert im Oktober den 10. Geburtstag ihrer Schule in Wiesbaden und Frankfurt. Ein guter Grund, sie vorzustellen, meine ich.

Tänzerin in blauem indischem Tanzkleid

Die erste Tänzerin in einer Musikerfamilie

„Ich tanze seit meinem zehnten Lebensjahr,“ erzählt Bharathi. Wir sitzen im Café Maldaner, naschen Beerentorte und Petit Fours. „Eigentlich komme ich aus einer Musikerfamilie. Ich bin die erste Profitänzerin bei uns.“ Auch Bharathi hatte ursprünglich mit Musik angefangen. Als Kind hat sie das Saiteninstrument Vina gelernt. Zum Tanz kam sie über ihre Nichte.

„Ich bin das jüngste von fünf Geschwistern und meine Geschwister haben mich beim Musizieren immer geneckt, weil ich so viele Fehler machte. Da habe ich mir gedacht: dann gehe ich halt tanzen,“ sagt sie schelmisch. Dann wird sie ernst. „Ich habe eine Zeit lang meine Nichte zum täglichen Tanzunterricht gebracht. Die Kleine war damals vier Jahre alt und brauchte jemanden, der sie zum Unterricht begleitet. Das inspirierte mich dazu, selbst auch zu tanzen.“

Zehnjährig hatte Bharati ihre erste Tanzstunde. Sie erwies sich als Talent. Bereits nach einem halben Jahr beherrschte sie die Grundschritte und bekam ihre erste Choreografie, den Alaripo. Das ist der erste Tanz, den alle Tänzerinnen lernen. Er erzählt, wie eine Knospe zur Blüte wird.

Tänzerin in gold-violett

Der indische Tanz

Das Geschichten erzählen ist die Grundlage des indischen Tanzes. Er ist wie eine eigene Körper- und Gebärdensprache. „Jede Bewegung hat eine Bedeutung,“ erklärt Bharathi. „Die Haltung des Kopfes, der Arme, der Hände, der Finger, des ganzen Körpers. Für viele Worte gibt es eine spezielle Haltung.“

Viele Tänze werden seit Jahrtausenden immer wieder gezeigt. Gleichzeitig werden neue Choreografien entwickelt. Jeder einzelne Tanz folgt einer streng festgelegten Struktur. Innerhalb dieser Struktur können die Tänzerinnen und Tänzer frei improvisieren.

Tanzausbildung und Hotelberuf in Indien

„Bis zu meinem 16. Geburtstag bin ich sechsmal pro Woche, neben der „richtigen“ Schule in die Tanzschule gegangen,“ erinnert sich Bharati. Nach dem Schulabschluss ging sie ins Gastgewerbe. „Ich habe als Telefonistin im Room-Service für Langzeitgäste gearbeitet. Diese Gäste haben oft für mehrere Monate oder Jahre in Indien gearbeitet und sollten sich im Hotel zuhause fühlen.“

Es gab keine Kontakte zwischen Telefonistin und Gästen. Bharathi kannte die Leute nur als Stimme am Telefon. Doch irgendwann kam mit einem Mann aus Wiesbaden ins Gespräch. „Er ist uns aufgefallen, weil er monatelang nie etwas wollte. Als ich nachfragte, ob alles in Ordnung sei, erklärte er mir, er möchte nicht gestört werden, weil er meditiert. Das hat mich neugierig gemacht und wir kamen ins Gespräch.“ Erst am Telefon, dann auch persönlich.

Eheschließung, Scheidung und Gründung der indischen Tanzakademie

Am 1. Januar 1994, ihrem 25. Geburtstag, kam Bharati als Ehefrau in Deutschland an. „Ich habe mich hier sofort zuhause gefühlt. Vielleicht habe ich eines meiner früheren Leben hier verbracht,“ meint Bharathi. Sie ist Hinduistin und glaubt an die Wiedergeburt. „Nach einem Jahr sprach ich gut genug Deutsch um hier zu arbeiten. Ich fand einen Job am Flughafen und begann, privat zuhause, Tanz zu unterrichten.“

2006 gründete Bharathi, mittlerweile geschieden, die indische Tanzakademie. „Die Akademie ist meine jetzige Ehe. Ein neuer Partner müsste damit konkurrieren.“ Sie kann sich nicht vorstellen, dass sie noch einmal heirateten wird. „Männer sind ein bisschen wie Kinder. Sie wollen versorgt werden.“ Doch Bharathi kümmert sich lieber um ihre Schülerinnen.

Gruppenfoto Tanz-Schülerinnen

Der Traum von eigenen Räumen in Wiesbaden

Im Moment unterrichtet sie in Wiesbaden und Frankfurt. „Am Freitagnachmittag sind wir im Gemeinschaftszentrum Schelmengraben. Das wird am Freitagnachmittag nur wenig genutzt und wir können laut sein und Krach machen. Das ist wichtig.“ Beim indischen Tanz ist nicht nur die Musik laut. Es gibt es eine starke Fußarbeit. „Wir stampfen viel mit den Füßen auf den Boden. Da muss außen um den Tanzraum Platz sein, weil sich der Schall sonst überträgt.“

Doch freistehende Räume gibt es in Wiesbaden nur wenige. Und so unterrichtet Bharathi, obwohl sie von einer Tanzschule in Wiesbaden träumt (das könnte zum Beispiel ein Raum in einem Industriegebiet sein), im Moment hauptsächlich in Frankfurt. Dort hat sie, in der Nähe des Westbahnhofs, einen Raum gefunden, den sie mehrmals pro Woche zum unterrichten nutzen kann.

Zwei tanzende Mädchen

Eigene Bühnen-Shows im Rhein-Main-Gebiet, Gastauftritte in Europa und Indien

Neben ihrem Unterricht und dem Brotjob am Flughafen veranstaltet Bharathi Bühnen-Shows in Wiesbaden und Frankfurt. Oft hat sie dabei Tänzer aus Indien zu Gast. „Die Kollegen machen hier Stopp, wenn sie auf Tournee sind,“ erzählt sie. „Und manchmal kommt meine Familie aus Indien und wir treten zusammen auf.“ Die Geschwister musizieren, Bharathi und die Schülerinnen tanzen. Meist im Frühling oder Herbst.

Im Winter macht Bharathi dann Gegenbesuch und tanzt in Indien. Natürlich wird sie auch von Kollegen in Europa immer wieder als Gast eingeladen.

Links

Mehr über Bharathi Avireddy, ihre Akademie und den indischen Tanz gibt´s auf den Websites Der indische Tanz und Varnam

Alle Fotos wurden von Bharathi Avireddy zur Verfügung gestellt.

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